Das Wort Vipassana stammt aus der Sprache Pali und wird meist mit Insight oder Einsicht im Sinne eines, von Illusionen befreienden, Sehens übersetzt. Im Buddhismus bezeichnet der Begriff, die Erkenntnis der drei Wesensmerkmale Unbeständigkeit („Alles, was entsteht, vergeht auch wieder“), Leidhaftigkeit („Alles ist unzulänglich/verursacht Leiden“) und Nichtexistenz des Ichs („Da auch der Körper ständiger Veränderung unterworfen und somit in keinem Moment identisch mit dem Vorhergehenden ist, wird ein sogenanntes, zeitüberdauerndes „Ich“ unmöglich).
Dezent erinnerten uns diverse Schilder ans Schweigen |
Soviel zur Theorie, wir (Cedi, Paula und ich) besuchten also einen Vipassana Kurs in der Tradition nach S.N. Goenka, einem aus Burma stammenden Geschäftsmann, dessen Meditation von einer erfahrenen Meditierenden, die ich letztlich traf, scherzhaft als Extremsport der Meditation bezeichnet wurde. Glücklicherweise fand diese Begegnung statt, nachdem ich den Kurs abgeschlossen hatte (ansonsten hätte mich diese Bemerkung vermutlich beunruhigt). Dieser Spitznamen hängt zum einen damit zusammen, dass man sich für die 10 Tage der Meditation verpflichtet, ein nobles Schweigen einzuhalten (welches neben Sprache auch alle anderen Formen von Kommunikation, wie Blicke und Gestik, einschließt), nicht zu schreiben, zu lesen, das Gelände nicht zu verlassen, kein lebendes Wesen zu töten (klingt leicht, wird bei Stechmücken, die einem den Schlaf rauben, jedoch zum Problem), nicht zu lügen und keinerlei Rauschmittel zu sich zu nehmen (auch Tabak, Alkohol u. Koffein), die gesamte Zeit alleine/in sich gekehrt zu verweilen. Zudem verpflichtet man sich, dem vorgeschriebenen Zeitplan so genau, wie möglich zu folgen und versucht zu verstehen, dass alle diese Einschränkungen/Verpflichtungen optimale Meditationsbedingungen schaffen sollen und nicht zum Vorteil des Lehrers, als Selbstzweck oder im Glauben an bestimmte Traditionen oder organisierte Religionen aufgestellt wurden. Wertgegenstände, Geld, Schreibutensilien, mitgebrachtes Essen, Zigaretten und Co (kurz alles, was man nicht unbedingt braucht, einen jedoch ablenken oder in Versuchung bringen könnte) wird zu Beginn beim Management abgegeben und bei der Ausreise wieder abgeholt. Bezahlen muss man für den Kurs nichts, die Meditationszentren finanzieren sich nur durch Spenden derjenigen, die einen Kurs besuchten und diese Erfahrungen auch anderen ermöglichen wollen. Eine Praxis, die mir suspekt vorkam, kein Wunder. Wird uns nicht schon als Kind beigebracht, dass nichts auf der Welt umsonst ist?
Der Zeitplan:
4:00 Wecken
4:30 – 6:30 Meditation
6:30 – 8:00 Frühstück, Duschen, Waschen etc.
8:00 – 9:00 Group Sitting
9:00 – 11:00 Meditation
11:00 – 12:00 Mittagessen
12:00 – 13:00 Mittagspause
13:00 – 14:30 Meditation
14:30 – 15:30 Group sitting
15:30 – 17:00 Meditation
17:00 – 18:00 Tee & Snack
18:00 – 19:00 Group sitting
19:00 – 20:30 Diskurs über die Technik
20:30 – 21:00 Meditation
21:30 Zurückziehen in die eigenen Räumlichkeiten
Der Tag danach |
Die Schmerzen in meinen Füßen, Knien und im Rücken hatten so am 3. Tag ihren Höhepunkt und machten den Anschein, als ob sie einen Langzeitaufenthalt geplant hatten :). Als wir am 4. Tag die Einweisung in die Vipassana Praxis erhielten, gab es eine weitere Verschärfung: Für die 3 Stunden Group Sitting sollten wir uns selbst völlige Bewegungslosigkeit auferlegen, was, auf Grund der Schmerzen, die sich nach gut 45 Minuten einstellen, eine Willensprüfung darstellt. Wohingegen das zehntägige Schweigen - zumindest für mich - keinerlei Problem darstellte (Ich bitte darüber nachzudenken, wann Ihr das letzte Mal 10 Tage nicht geredet habt). Auch wenn Cedric und ich es nicht besonders einfach hatten. Wir saßen uns beim Essen gegenüber (die Plätze wurden uns zugewiesen) und unsere Zimmer lagen sich gegenüber. Wenn um halb 5 morgens der Gong zur Morgenmeditation aufrief, zogen wir meist zeitgleich die Vorhänge unserer Räume auf und standen uns direkt gegenüber. Ein Moment Zögern – keinerlei Kommunikation!! – Augen senken und Richtung Meditationshalle.
Auch wenn die Meditation an sich die ein oder andere beschriebene Herausforderung an uns stellte, so war ich am letzten Tag nicht nur froh es geschafft und durchgehalten zu haben, sondern auf eine mir neue Art ruhig und gelassen. Ich hatte das Gefühl, die 10 Tage haben mir die Chance gegeben, alle angefangenen Gedanken, für deren Vollendung mir bisher immer die Zeit gefehlt hat, abzuschließen und den Kopf wieder frei zu haben.
Und auch wenn mir das Reden nach dem noblen Schweigen anfangs ungewohnt und größtenteils überflüssig vorkam, so war ich doch froh über die Gespräche mit sogenannten alten Schülern, die zuvor mindestens einen anderen Kurs besucht hatten. Ohne die Zerstreuung meiner letzten Zweifel an den Meditationszentren, hätte ich der Technik im Alltag vermutlich keine Chance gegeben. Ich will nicht behaupten, dass ich jeden Morgen und Abend wie empfohlen eine Stunde meditiere. Gelegentlich findet sich jedoch die Zeit und es stellt stets einen guten Start in den Tag, einen guten Abschluss dar. Wem mein Artikel ein bisschen zu theorielastig war oder wer einfach Interesse an mehr Informationen hat, dem sei folgender Erlebnisbericht/Artikel ans Herz gelegt: Meditation: Alles, alles geht vorbei...