Sonntag, 27. Februar 2011

Vipassana


Das Wort Vipassana stammt aus der Sprache Pali und wird meist mit Insight oder Einsicht im Sinne eines, von Illusionen befreienden, Sehens übersetzt. Im Buddhismus bezeichnet der Begriff, die Erkenntnis der drei Wesensmerkmale Unbeständigkeit („Alles, was entsteht, vergeht auch wieder“), Leidhaftigkeit („Alles ist unzulänglich/verursacht Leiden“) und Nichtexistenz des Ichs („Da auch der Körper ständiger Veränderung unterworfen und somit in keinem Moment identisch mit dem Vorhergehenden ist, wird ein sogenanntes, zeitüberdauerndes „Ich“ unmöglich).
Dezent erinnerten uns diverse Schilder ans Schweigen
Um diese, zur Erleuchtung führenden, Einsicht zu erlangen wird sich in der sogenannten Vipassana-Meditation oder Technik geübt, deren Grundlage eine vertiefte Körperbetrachtung darstellt. Wie bei den meisten Dingen, gibt es verschiedene Auslegungen, gemein ist ihnen jedoch, dass sie die Entwicklung einer vertieften Aufmerksamkeit, fokussiert auf die momentanen Körper-Geist-Prozesse, fördern und als essentiell ansehen. Bei dieser vertieften Achtsamkeit handelt es sich jedoch nicht um eine statische Konzentration, wie sie beispielsweise durch Vorstellung eines Objektes oder Rezitieren verschiedener Worte erreicht wird, eine solche Praxis würde im Gegenteil von einer Beobachtung der Körper-Geist Prozesse ablenken. Die verschiedenen Methoden begründen sich auf zwei Reden, die vom historischen Buddha Gautama Siddhartha überliefert sind, deuten und gewichten diese jedoch unterschiedlich. Aber auch wenn der theoretische Hintergrund aus dem Buddhismus stammt, so richtet sich die Vipassana Meditation als Technik an Menschen aller Religionen und Traditionen.
Soviel zur Theorie, wir (Cedi, Paula und ich) besuchten also einen Vipassana Kurs in der Tradition nach S.N. Goenka, einem aus Burma stammenden Geschäftsmann, dessen Meditation von einer erfahrenen Meditierenden, die ich letztlich traf, scherzhaft als Extremsport der Meditation bezeichnet wurde. Glücklicherweise fand diese Begegnung statt, nachdem ich den Kurs abgeschlossen hatte (ansonsten hätte mich diese Bemerkung vermutlich beunruhigt). Dieser Spitznamen hängt zum einen damit zusammen, dass man sich für die 10 Tage der Meditation verpflichtet, ein nobles Schweigen einzuhalten (welches neben Sprache auch alle anderen Formen von Kommunikation, wie Blicke und Gestik, einschließt), nicht zu schreiben, zu lesen, das Gelände nicht zu verlassen, kein lebendes Wesen zu töten (klingt leicht, wird bei Stechmücken, die einem den Schlaf rauben, jedoch zum Problem), nicht zu lügen und keinerlei Rauschmittel zu sich zu nehmen (auch Tabak, Alkohol u. Koffein), die gesamte Zeit alleine/in sich gekehrt zu verweilen. Zudem verpflichtet man sich, dem vorgeschriebenen Zeitplan so genau, wie möglich zu folgen und versucht zu verstehen, dass alle diese Einschränkungen/Verpflichtungen optimale Meditationsbedingungen schaffen sollen und nicht zum Vorteil des Lehrers, als Selbstzweck oder im Glauben an bestimmte Traditionen oder organisierte Religionen aufgestellt wurden. Wertgegenstände, Geld, Schreibutensilien, mitgebrachtes Essen, Zigaretten und Co (kurz alles, was man nicht unbedingt braucht, einen jedoch ablenken oder in Versuchung bringen könnte) wird zu Beginn beim Management abgegeben und bei der Ausreise wieder abgeholt. Bezahlen muss man für den Kurs nichts, die Meditationszentren finanzieren sich nur durch Spenden derjenigen, die einen Kurs besuchten und diese Erfahrungen auch anderen ermöglichen wollen. Eine Praxis, die mir suspekt vorkam, kein Wunder. Wird uns nicht schon als Kind beigebracht, dass nichts auf der Welt umsonst ist?


Der Zeitplan:

4:00                           Wecken
4:30 – 6:30                Meditation
6:30 – 8:00                Frühstück, Duschen, Waschen etc.
8:00 – 9:00                Group Sitting
9:00 – 11:00              Meditation
11:00 – 12:00            Mittagessen
12:00 – 13:00            Mittagspause
13:00 – 14:30            Meditation
14:30 – 15:30            Group sitting
15:30 – 17:00            Meditation
17:00 – 18:00            Tee & Snack
18:00 – 19:00            Group sitting
19:00 – 20:30            Diskurs über die Technik
20:30 – 21:00            Meditation
21:30                         Zurückziehen in die eigenen Räumlichkeiten

Der Tag danach
In den ersten 3 Tagen übt man sich in der sogenannten Annapana Meditation, die zur Schärfung des Bewusstseins und zur Beruhigung des Geistes dient. Die 10,5 Stunden Meditation täglich haben es tatsächlich in sich, es ist anstrengender, als man es sich vielleicht vorstellt. Am ersten Abend war ich völlig am Boden, weil es mir einfach nicht gelingen wollte mich länger als 3-4 Atemzüge nur auf das natürliche Atmen zu konzentrieren, ohne es zu beeinflussen oder in Gedanken abzuschweifen (Ihr dürft es gerne einmal selbst versuchen: Gemütlich auf eine freie Stelle am Boden setzen, Augen schließen, nicht mehr bewegen, versuchen den Atem im Bereich der Nase zu spüren und diese Aufmerksamkeit beizubehalten; Stellt euch einen Wecker. Eine halbe Stunde sollte einen ersten Eindruck geben). Man sollte jedoch nicht unterschätzen, wie sich Gedanken und Bewusstsein beruhigen und verändern, wenn man einen längeren Zeitraum keinerlei Input durch Gespräche, Bücher, Radio, Fernsehen oder ähnliches erhält.
Die Schmerzen in meinen Füßen, Knien und im Rücken hatten so am 3. Tag ihren Höhepunkt und machten den Anschein, als ob sie einen Langzeitaufenthalt geplant hatten :). Als wir am 4. Tag die Einweisung in die Vipassana Praxis erhielten, gab es eine weitere Verschärfung:  Für die 3 Stunden Group Sitting sollten wir uns selbst völlige Bewegungslosigkeit auferlegen, was, auf Grund der Schmerzen, die sich nach gut 45 Minuten einstellen, eine Willensprüfung darstellt. Wohingegen das zehntägige Schweigen - zumindest für mich - keinerlei Problem darstellte (Ich bitte darüber nachzudenken, wann Ihr das letzte Mal 10 Tage nicht geredet habt). Auch wenn Cedric und ich es nicht besonders einfach hatten. Wir saßen uns beim Essen gegenüber (die Plätze wurden uns zugewiesen) und unsere Zimmer lagen sich gegenüber. Wenn um halb 5 morgens der Gong zur Morgenmeditation aufrief, zogen wir meist zeitgleich die Vorhänge unserer Räume auf und standen uns direkt gegenüber. Ein Moment Zögern – keinerlei Kommunikation!!  – Augen senken und Richtung Meditationshalle.
Auch wenn die Meditation an sich die ein oder andere beschriebene Herausforderung an uns stellte, so war ich am letzten Tag nicht nur froh es geschafft und durchgehalten zu haben, sondern auf eine mir neue Art ruhig und gelassen. Ich hatte das Gefühl, die 10 Tage haben mir die Chance gegeben, alle angefangenen Gedanken, für deren Vollendung mir bisher immer die Zeit gefehlt hat, abzuschließen und den Kopf wieder frei zu haben.
Und auch wenn mir das Reden nach dem noblen Schweigen anfangs ungewohnt und größtenteils überflüssig vorkam, so war ich doch froh über die Gespräche mit sogenannten alten Schülern, die zuvor mindestens einen anderen Kurs besucht hatten. Ohne die Zerstreuung meiner letzten Zweifel an den Meditationszentren, hätte ich der Technik im Alltag vermutlich keine Chance gegeben. Ich will nicht behaupten, dass ich jeden Morgen und Abend wie empfohlen eine Stunde meditiere. Gelegentlich findet sich jedoch die Zeit und es stellt stets einen guten Start in den Tag, einen guten Abschluss dar. Wem mein Artikel ein bisschen zu theorielastig war oder wer einfach Interesse an mehr Informationen hat, dem sei folgender Erlebnisbericht/Artikel ans Herz gelegt: Meditation: Alles, alles geht vorbei...

1 Kommentar:

  1. warte seit ewigkeiten auf einen neuen artikel... schreibst du bald mal wieder was?

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